Böse Zungen behaupten, dass München nicht gerade für grandiosen Ausstellungen von brandaktueller zeitgenössischer Kunst bekannt ist. Köln, Hamburg und sogar und insbesondere Berlin können das besser. Doch in der Tat ist dem Direktor der Kunsthalle, Roger Diederen, ein Coup gelungen, über den intensiv in den Medien berichtet wurde: Er holte den Streetart Künstler JR mit seiner Werkschau nach München.
JR ist ein französischer Street Art Künstler. Er arbeitet bislang unter seinem Pseudonym unerkannt hinter dunkler Sonnenbrille und mit Hut - seinem Markenzeichen. Seine Arbeiten konzentrieren sich hauptsächlich auf die Vergrößerung von Fotografien auf die Straße und Gebäude. Die Projekte haben eine starke soziale und politische Botschaft und beziehen sich oft auf Themen wie Armut, Einwanderung und soziale Gerechtigkeit.
Soweit, so gut. Obwohl ich der Überzeugung bin, mich so einigermaßen in der Street Art über Banksy hinaus auszukennen, war mir JR bis zu seiner Werkschau unbekannt. Street Art in der Kunsthalle - das musste ich sehen. Erst später habe ich den Hype begriffen, mit Berichterstattung in den Nachrichten zur Hauptsendezeit, JR überall. Und wie es so ist, wenn man noch viel Zeit bis zum Ende der Ausstellung hat, bin ich in der vorletzten Woche vor Schluss in die Kunsthalle gegangen.
Es war ein wenig Leiden wie auf der Biennale, documenta oder anderen Kunst-Großereignissen: Schlangen vor dem Eingang draußen, Schlangen vor der Gaderobe, Schlangen vor dem eigentlichen Einlass, dass sich die Besucher in den Räumen nicht gegenseitig auf die Füße treten.
Aber 30 Minuten Wartezeit sind machbar und es hat sich sowas von gelohnt. Eine absolute Überraschung, Kunst die berührt, emotional, kritisch, politisch - Kunst die die Menschen miteinander in das Gespräch bringt.
Es ist viel geschrieben worden über die Arbeiten JRs, besser und fundierter. Deswegen beschreibe "nur" meine beiden Lieblingsräume.
Ein riesiger schwarzer Raum war den Murals gewidmet, die in den USA entstanden. Zusehen waren die Murals von San Francisco, von New York und das sehr beeindruckende Gun Chronicles
"The Jr Chronicles of New York City" wurde im Jahr 2019 umgesetzt wurde. Ursprünglich war geplant ein Video Mural zu machen, was jedoch ein aberwitziges Budget verschlungen hätte und so nicht umsetzbar war.
Deswegen ist JR in die unterschiedlichsten Viertel, auch die sog. Problemviertel, gegangen, um mit den unterschiedlichsten Bewohnern der Stadt zu reden und Porträts von ihnen zu machen die zu dem NY Mural zusammen gefügt wurden.
Auch dieses Projekt hat die Menschen in den Vordergrund gestellt und zeigt, wie vielfältig die Bevölkerung von New York City ist, die zu einem großen Teil immer noch aus der ganzen Welt stammen.
Das Projekt vermittelt eine starke Botschaft über das Zusammenleben und den Zusammenhalt in einer Großstadt vermittelt und JR hat dabei gezeigt, wie Kunst eine Verbindung zwischen Menschen schaffen und die Stadt selbst zu einem lebendigen Kunstwerk machen kann.
Das Kunstwerk "Aerial View of the Pasting" von JR in Tehachapi, Kalifornien, zeigt ein eindrucksvolles Porträt von Häftlingen in einem Hochsicherheitsgefängnis. Die Porträts wurden von den Häftlingen selbst auf den Gefängnishof geklebt.
Mittels einer Luftaufnahme erhält der Betrachter einen ungewöhnlichen Blick auf das Gefängnis und die darin eingesperrten Männer. Die Idee, dass die Porträts auf dem Gefängnishof zu sehen sind, fügt eine neue Dimension der Perspektive hinzu und ermöglicht es dem Betrachter, sich in die Lage der Inhaftierten zu versetzen.
Auch dieses Projekt bewegt viel, wie man aus der begleitenden Videodokumentation erfährt. Häftlinge kommen untereinander und mit den Wärtern ins Gespräch. Vorurteile werden hinterfragt. Laut des Doku-Films werden einige Inhaftierte sogar vorzeitig entlassen, weil die gemeinsame Arbeit an Tehachapi viel bewegt hat.
Auch das klingt wieder ganz wunderbar, die Kunst als Brückenbauer, als "Kleber", der die Menschen zusammenhält.
In den Tagen nach dem Ausstellungsbesuch verfolgt mich gedanklich der Spruch "Zu schön, um wahr zu sein", der weitergedacht lautet: "Wenn etwas so schön ist, ist es meistens nicht wahr".
Ich möchte gerne glauben, das die JR Chronicles wahr sind und wahr bleiben.