skartes Welt


Biedermaier 4.7

"Nackerte gehen immer", meinte vor Coronazeiten eine liebe Kollegin zu mir, als ich ihr dabei zusah, wie sie auf einer Kunstmesse einen Schwung Akt-Bilder wirklich glücklichen Käufer weiterreichte. Zu mir gewendet sagte sie wiederum, dass es nicht ihre Lieblingsbilder seien. Achselzucken. "Aber wos wuist da mocha"? Da bin ich völlig dakor - würde ich haargenauso so handhaben. Wenn ich mal Akte gemalt hätte. Oder gut fände. Oder überhaupt.

Und junge Frauen: Malereien, Zeichnungen, Collagen Fotos von jungen Frauen - mystisch, blumig, verträumt, frech - kurz, aus dem Leben gegriffen.
Wenige Werbeplakat für Kunstmessen und - Veranstaltungen wie stroke, Artmuc und Co., die nicht mit attraktiven Motiven werben. Und die sind momentan (noch) weiblich.

Über die Gründe kann ich gar nicht so viel schreiben, im Detail wissen das nur die Organisatoren und die kennen sich aus, was ankommt und was nicht.

Ich vermute, dass man möglichst viel Publikum anziehen will bzw. auch muss, um Umsatz zu machen. Umsatz geht mit dem Mainstream, mit dem Schrägen eher nicht bzw. nicht so gut.
Kriege, eine weltweite Pandemie, noch mehr Kriege, Energiekrise und die Erkenntnis, das wir es mit unserem Planeten so richtig versaut haben - da kommt man jetzt auch nicht besser drauf, wenn die Kunstmesse mit schwerer-Kost-Optik zu sich einlädt

Heute ist einfach mehr hygge. Und - das ist nicht ironisch gemeint - ist in Ordnung (nur diese fröhlich sanften hygge Menschen in der Werbung nerven). Der Mensch bleibt sich treu, schwierig wird mit nett übertüncht und verdrängt, seit Jahrhunderten.

V1.0 Biedermeier

Es herrschte nach der franz. Revolution weiterhin Krieg und Aufruhr. Napoleon, der kleine ehrgeizige Feldherr, hatte halb Europa aufgemischt, bis er endlich auf Elba ruhig gestellt wurde. Die Monarchie war - nur wenige Jahre nach der franz. Revolution - damit beschäftigt, sich wieder ins Geschäft zu bringen - zunächst erfolgreich.
Bürger, denen es möglich war, flüchteten sich in ihre vier Wände, Familie war sehr, sehr wichtig (aber bitte idyllisch), man war viel in der Natur und sehr religiös. Total verrückt, oder? Könnte auch heute sein. Religiös würde ich heute selbst-optimierend nennen.

> Wenn ihr mehr Infos über die franz. Revolution, Biedermeier und die Restauration braucht, lest es am besten in einem Geschichtsbuch nach. Also analog.

Fun fact am Rande: Bieder ist unser heutiges spießig und damit eigentlich ein no go für uns hippen ... wer und was auch immer wir sind.

V2.0 Die 50er bis 60er Jahre

Nach dem großen Krieg. Alles war kaputt, die Frauen hatten es wieder einigermaßen gerichtet, aber es dauerte noch Jahrzehnte bis die letzten Spuren weg waren. Viel war nicht da. Kleidung, Essen, Wohnraum. Männer, Väter und Söhne kamen nicht mehr zurück nach Hause und wenn doch, schwer traumatisiert und/oder versehrt.

Wohl deswegen gab es nichts schöneres als Freddy Quinn und Peter Kraus zu lauschen, im Kino "Zum weißen Rössel" und "Mariandl" zu sehen, ein paar Jahre später dann auch was Schönes im Fernsehen (später) auf der Couch unter einem Bild mit dem Motiv "Röhrender Hirsch". Im Schlafzimmer hing meist ein Portrait von einer Sinti und Roma Frau in weißer Carmenbluse.
Mit manchen Jugendlichen gab es Ärger, weil sie Rocknroll tanzten, laut und aufmüpfig waren. Gab halt keine HJ mehr - zum Glück.
Das war aber alles eigentlich nicht so schlimm, denn erst Ende der 60er zogen die "Hippies" richtig blank. Auf allen Ebenen.

> Wenn ihr mehr gesicherte Infos über den Nationalsozialismus, 2. Weltkrieg, die Nachkriegszeit und das Wirtschaftswunder braucht, lest es am besten in einem Geschichtsbuch nach. Also analog.

V3.0 Die 80er

Ja, ich war dabei, es ging ja nicht anders. Einen großen Teil meiner Teenagerjahre habe ich in den 80ern verbracht. Anfangs war das wohl gesellschaftlich und politisch noch recht bewegt (Atomstrom nein danke) - da hatte ich mich aber noch mit Grundschule, Fußballspielen und Magnum gucken beschäftigt.

Als ich begann, mich für Politik, Gesellschaft und den ganzen Erwachsenenkram zu interessieren, war Helmut Kohl schon ein paar Jahre Kanzler. Ich erinnere mich an die 80er als eine eitle, öde und aufgesetzt-oberflächliche, piefige Epoche. Die Serie Kir Royal bringt das brilliant auf den Punkt. Es war auch die Initialzündung für die Bussi-Bussi Gesellschaft, etwas, das uns bis heute verfolgt und durch die digitalen Medien vervielfacht hat.

Kohl und FJ Strauß wurden so oft wieder gewählt, dass sich die Gesellschaft gefühlt in eine Art politisches Koma wiegte. Als Jugendlicher hatte man genug Zeit, eine gesunde Beziehung zum Thema Opposition aufzubauen.  Viele waren aber mit dem Starschnitt von Madonna und Haarlack völlig zufrieden.

Für die soziale Marktwirtschaft kam die Abrissbirne, dafür bekamen wir in ganz Deutschland ein Netz voller Kupferdrahtkabel, an dem wir teilweise noch heute Riesenspaß haben.

Natürlich war der Mauerfall legendär, zementierte die politischen Verhältnisse nocheinmal über das längst abgelaufene Verfallsdatum, bis es sich 1998 änderte um, dann auch wirklich nicht besser wurde.

> Wenn ihr mehr Infos über die 80er Jahre braucht, fragt am besten Menschen um die 50. Oder steht das schon in Geschichtsbüchern? =:O

V4.7 Heute

Wann fing das eigentlich an, mit dem sich nach Hause zurückziehen, weil draußen alles so fürchterlich war? Ich hab das mal in Unterversionen auf ca. 7 geschätzt, deswegen 4.7.

Es gab Kriege im Nahen Osten und in Afrika sowieso. Brennende Hochhäuser, Kreditkrisen, Immobilienkrisen, Bankenblasen, Länder gingen pleite.
Politisch wiederholte sich das Lullen aus den 80ern, gesellschaftlich entwickelte sich eine ständige Angst vor sozialem Abstieg (danke für gar nichts an die SPD an dieser Stelle). 

Aktuell, eine überstandene Pandemie (oder doch nicht) und Krieg in Europa, immernoch im nahen Osten, immernoch in Afrika.

Das will keiner hören, sehen oder fühlen - jedenfalls nicht über einen so langen Zeitraum. Und dafür gibt es eben Home-Entertainment, Internet, Streaming, IOT und den Hausaufgabenschreib-Service ChatGPT - wer will da noch raus? Vielleicht noch ein paar Versprengte mit Superhaftkleber.

Und warum schreibe ich das alles mit meinem gefährlichen geschichtlichen Halbwissen. Weil die Kunst das Biedermeier immer volle Breitseite abbekommt, wenn sie profitabel sein will. Kunstmessen, Veranstaltungen frech und inspirierend in den letzten Jahren. Außendarstellung aktuell: Der Blick auf Frauen.

Vielleicht stimmt es auch nicht oder nur teilweise, ich werde hingehen, um mir ein Bild zu machen.

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